Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Bislang war die Jahrespressekonferenz der saarländischen Stahlindustrie immer ein Ereignis, das Mitglieder der saarländischen Presse mit den Vorständen von Saarstahl und von Dillinger zu Pressekonferenzen zusammenführte. Diesmal sorgte Corona führte zu digitalen Neuerungen: Die Jahrespressekonferenz fand erstmals als Videokonferenz statt, bei der der Vorstandsvorsitzende der beiden Stahlwerke Tim Hartmann und der Vorstand Personal und Arbeitsdirektor Peter Schweda live auf dem Bildschirm waren sowie Martin Baues, Vorstand Technik, Dr. Klaus Richter, Vorstand Vertrieb Saarstahl und Dr. Günter Luxenburger, Vorstand Vertrieb Dillinger, die akustisch zugeschaltet waren.
Hinter der saarländischen Stahlindustrie liegt ein sehr schwieriges Geschäftsjahr. Neben sich abschwächenden konjunkturellen Rahmenbedingungen stellte das konjunkturelle Umfeld weiterhin für die für die gesamte europäische Stahlindustrie eine große Herausforderung dar. Der zunehmende Protektionismus und die damit verbundenen Zölle verteuern die Produkte der europäischen Stahlerzeuger, die globalen Überkapazitäten bestehen weiterhin und der EU Stahlmarkt leidet trotz eingeleiteter Safeguard Maßnahmen zur Eindämmung von Handelsumlenkungen weiterhin an hohen Importen, betonte Tim Hartmann zu Beginn seiner Ausführungen.
Die Umsatzerlöse der Dillinger Gruppe reduzierten sich um 5,2 % auf 2,08 Mrd Euro (2018: 2,2 Mrd.) Das konsolidierte EBIT, das ist das Ergebnis vor Zinsen und Steuern zeigte ein Minus von 116,1 Mio Euro (Vorjahr Gewinn 38.5 Mio. Euro) . Die Investitionen bei der Dillinger Gruppe beliefen sich auf 72,4Mio € gegenüber 54 Mio € im Jahr 2018. Ein Großteil der Maßnahmen gingen in die Verbesserungen des Umweltschutzes bei ROGESA, was sich beispielsweise im erstmaligen Einsatz von Wasserstoff als Reduktionsmittel im Hochofen niederschlug.
Beim Saarstahl Konzern gingen die Umsatzerlöse um 12,7 % zurück auf 2,2 Mrd. Euro zurück (2018: 2,5 Mrd). Das konsolidierte EBIT lag bei Saarstahl bei minus 127,6 Mio € gegenüber 98,8 Mio € Gewinn im Vorjahr. Die Investitionen im Saarstahl-Konzern lagen bei 105,2 Mio €, 2018 waren es 67,7 Mio €. Die größte Investition war hierbei der Bau der neuen Stranggießanlage S1, mit der Saarstahl erneut den Benchmark bei Produktivität und Kundenservice im Langproduktebereich setzt.
Mit Eigenkapitalquoten von 74,5 % (Saarstahl und 64,9 % (Dillinger) beide Bereiche weiterhin eine solide Finanzstruktur aus. Zu dem Ergebnis erklärte Vorstandsvorsitzender Tim Hartmann: Die strukturellen und konjunkturellen Probleme auf dem Stahlmarkt haben uns empfindlich hart getroffen. Die Ergebnisse blieben hinter unseren Erwartungen zurück. Neben dem Rückgang der Mengen und Umsatzerlöse ist dies zudem auf Schwächen in unserer Kostenstruktur zurückzuführen. Außerdem wirkten sich die deutlich höheren Rohstoffbeschaffungspreise sowie die Kostenbelastungen durch den CO2-Emissionszertifikatehandel negativ aus. Daneben wirkten sich die Vorsorge für die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen aus.
Personalfragen und Prognosen
Die schwierige Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit hat bereits einige Restrukturierungsmaßnahmen ausgelöst: osten müssen auf verschiedenen Ebenen gesenkt werden. Zu diesen Sparmaßnahmen gehört auch ein Personalabbau. Dazu erklärte Personalchef und Arbeitsdirektor Peter Schweda, die Belegschaft habe erkannt, dass die bereits begonnenen Maßnahmen zum Überleben, das Ziel des Fortbestandes nur gemeinsam zu erreichen ist. „Eine Alternative zu den geplanten Einsparungen von 100 Millionen € an Personalkosten gibt es nicht“, betonte Schweda. In allen Mannschaftsteilen sei man bereit, mit großer Solidarität an das Ziel Fortbestand heranzugehen. Auch bei den in Gang gesetzten personellen Restrukturierungen sei man auf einem guten Weg, denn es werde keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Viele Mitarbeiter machten von der Altersteilzeit Gebrauch, über 1000 Mitarbeiter seien auf diesem Weg bereits ausgeschieden. Weitere Mitarbeiter verlassen das Unternehmen auf freiwilliger Basis. Ende 2019 waren bei Dillinger 6160 Mitarbeiter beschäftigt, bei Saarstahl 7.296 Mitarbeiter, zusammen also 13.456. Bis zum Jahresende 2020 werde man unter 13 000 Mitarbeiter liegen.
Foto: Uwe Braun/ SHS – Stahl-Holding-Saar
Großen Wert legt man bei beiden Unternehmen weiterhin auf Lehrlinge, denn in Zukunft seien gut ausgebildete Fachkräfte noch wichtiger als heute noch. Im Augenblick werden 534 junge Menschen ausgebildet, davon 271 bei Dillinger und 263 bei Saarstahl. Welche hohe Bedeutung man auf eine gute Ausbildung lege, könne man daran erkennen, dass im Februar mit dem Bau eines neuen modernen Ausbildungszentrums begonnen wurde. Das Wissen und Können der heutigen Auszubildenden sei wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
Bei beiden Werken seien 760 Grenzgänger beschäftigt vorwiegend aus Lothringen sowie deutsche Bürger, die im französischen Grenzbereich leben. Rund die Hälfte davon sind derzeit wegen des Corona Virus freigestellt, die anderen müssen systembedingt ihre Arbeit verrichten. Die beiden Hochöfen und die Kokerei müssen aus technischen Gründen im Warmzustand und funktionsfähig gehalten werden. Insgesamt ist die Produktion gedrosselt auch in Folge des Corona Virus.
Prognosen 2020
Die Prognosen für 2020 bergen eine Reihe von Unwägbarkeiten und sind mit großen Herausforderungen verbunden. Die ohnehin vorhanden Unsicherheit wir durch die Ausbreitung des Corona Virus verstärkt, sagt Tim Hartmann. „Die bisherigen schwierigen Marktbedingungen wie Überkapazitäten, Importdruck, Konjunkturflaute in den Kernabnehmersegmenten wie der Autoindustrie bestehen weiterhin und machen eine anhaltend gute Auslastung und eine spürbare Anhebung der Preise schwierig“.
Bereits 2019 sei der Strategieprozess „offensiv, Co2frei, effizient“ worden eingeleitet worden, der die Profitabilität steigern soll. Eine Neuausrichtung der Geschäftsstrategie ist ein Ergebnisbeitrag von 150 Mio Euro.
Bild: SHS/Dillinger
Zu den Zielen gehöre es internationale Marktanteile hinzuzugewinnen, neue Märkte und Branchen zu gewinnen, höherwertige Produkte zu erzeugen und die Anlagenauslastung zu optimieren.
„Innerhalb des Strategieprozesses ist die Umsetzung auf eine Co2freie Produktion zentrales Thema. Zwischenschritte sind dabei erforderlich. Die Transformation ist machbar, sie kostet allerdings Milliarden. Möglich ist sie nur mit politischer und gesellschaftlicher Unterstützung“, betonte Hartmann. Eine erste Hürde sei politisch genommen und ein gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium erarbeitetes Papier zeige Wege zur Sicherung einer langfristig starken, international wettbewerbsfähigen und klimafreundlichen Stahlindustrie in Deutschland auf. Notwendig sei dafür aber das Commitment der gesamten Bundesregierung, sagte Tim Hartmann und fügte hinzu „Das Gelingen der Transformation wird zur Nagelprobe für die Industrie in Deutschland. Weitere Schritte müssen zwingend noch in diesem Jahr in Berlin und Brüssel folgen. Dabei setzen wir große Hoffnungen auf die deutsche Ratspräsidentschaft in der EU. Stahl ist der Werkstoff der Zukunft. Unser Ziel ist und bleibt es, dass der Stahl an der Saar in der modernsten Stahlindustrie erzeugt wird“.
Nach den Ausführung folgte eine Fragerunde.
Dabei betonten der Vorstandsvorsitzende, aber auch die zugeschalten Vertriebsvorstände, die Auftragslage sei gut, vor allem in Völklingen sei man aber auch auf die Entwicklung in der Automobilbranche angewiesen. Man hoffe, dass nach Ostern die Produktion langsam wieder hochgefahren werde. Insgesamt „fahre man auf Sicht“ – dies war überhaupt das geflügelte Wort des Tages.
Eine genaue Aussage für das Jahresergebnis 2020 ließ sich Tim Hartmann nicht entlocken. Er hoffe auf ein gutes zweites Halbjahr, könne aber nicht ausschließen, dass auch 2020 mit einem negativen Ergebnis ende. Zum Abschluss gab es noch einen Abschied: Peter Schweda teilte mit, dass dies seine letzte Teilnahme an einer Jahrespressekonferenz gewesen sei, nach 46 Jahren in der Stahlindustrie gehe er am 30. Juni in den Ruhestand.